Domänenverwalter Christian Witte hatte zur Präsentation des Jahrgangs 2009 der Domäne Schloss Johannisberg und des Weingutes G.H. von Mumm in den Spätlesereitersaal des Schlosses geladen. Zudem sei eine Kellerbesichtigung vorgesehen und es gebe auch „etwas älteres“ zu verkosten.
Auch wenn man als Weinschreibender viele Einladungen zu interessanten Veranstaltungen erhält, bleibt Schloss Johannisberg immer etwas besonderes.
Schloss Johannisberg ist, seit 1720 der komplette Johannisberg mit Riesling bepflanzt wurde, das erste reine „Riesling-Weingut“ der Welt und der Ort an dem 1775 der in meinen Augen schönste Weißweinstil – die fruchtige Riesling Spätlese – zumindest offiziell erstmals entstanden ist.
Den Rheingauer Weingütern war im 18. Jahrhundert in jedem Herbst eine Leseerlaubnis von ihren Gemeinden vorgeschrieben. Anders beim Schlossgut Johannisberg, das dem Bistum Fulda gehörte. Die Johannisberger Mönche mussten seit 1718 alljährlich auf die Leseerlaubnis beim Fürstbischof in Fulda einholen. Sie schickten deshalb einen Reiterboten mit einer Probe Johannisberger Trauben nach Fulda, doch in jenem Jahr verspätete sich die Rückkehr des auch Herbstkurier genannten Boten aus bis heute umstrittenen Gründen um 8 – 14 Tage. Die Trauben im Weinberg waren inzwischen kräftig von der Edelfäule Botrytis befallen, geschrumpft und daher hochkonzentriert. Das Ergebnis im nächsten Frühjahr war die erste edelsüße Riesling Spätlese. Die damaligen ersten Spätlesen waren allerdings so konzentriert, dass sie heute wohl eher als Beerenauslese oder Trockenbeerenauslese (TBA) bezeichnet würden.
Heute bewirtschaftet die Domäne Schloss Johannisberg in ihrer Monopollage 35 ha Riesling und das Schwesterweingut G.H.von Mumm noch einmal weitere 65 ha Riesling und Burgundersorten (u.a. auch im Assmannshäuser Höllenberg). Die beiden Güter beschäftigen zusammen 40 hauptberufliche Mitarbeiter sowie weitere bis zu 120 Helfer zu Lesezeit. Alleineigentümer der beiden Weingüter ist die zur Oetker-Gruppe gehörende Sektkellerei Henkell & Söhnlein.
Wenige Meter vor dem Schloss verläuft der 50. Breitengrad mitten durch den Johannisberg. Mehrere Stehlen im Weinberg zeigen den genauen Verlauf. Vor der Klimaerwärmung galt der 50. Breitengrad als nördliche Grenze für den Qualitätsweinbau überhaupt. Das Risiko mangelnder Reife hat sich aber vorerst erledigt. Heute reifen die Trauben im Johannisberg in jedem Jahr komplett aus und für trockene Weine ist mittlerweile eher eine zu hohe Traubenreife und das damit verbundene Risiko zu hoher Alkoholgrade ein Problem.
In zeitweiser Ermangelung von Etiketten wurden die Weine seit der Zeit von Fürst Metternich durch Lackfarben unterschieden (von Fürst Metternich stammt auch die bis heute umgesetzte Anweisung von 1830, keinen Flaschenwein ohne die Unterschrift des Kellermeisters auf dem Etikett herauszugeben. Heute tragen die Etiketten die Unterschrift von Gutsverwalter Christian Witte). Im Spätlesereitersaal erklärt eine Wandtafel das bunte Farbenspiel der Kapseln und Lacke:
Dazu kommt mit dem Silberlack noch das erstmals mit dem Jahrgang 2005 gefüllte Erste Gewächs (unten in der Bildmitte der aktuellen Kollektion).
Heute nicht mehr in Verwendung, aber aus früheren Jahrgängen noch reichlich im Schlosskeller vorhanden: „Orangelack“ für gehobene Kabinett-Qualität, „Weißlack“ für beste Spätlesen und „Goldblaulack“ für feinste Auslesen. Hier zu sehen neben einer Reihe weiterer historischer Flaschen.
Die Verkostung begann mit einem wunderbar weinigen Fürst von Metternich Rieslingsekt Brut 2008, der Qualitativ deutlich über der Supermarktware des Hauses liegt aber leider nur an gehobene Gastronomie abgebegen wird und nicht für Endkunden im Handel erhältlich ist.
Schon bei den Gutsrieslingen findet sich einwandfreiere Qualität, besonders der einfache lagenlose G.H. von Mumm Rheingau Riesling überraschte mich dabei positiv. Am besten gefiel mir aktuell der trockene Riesling QbA aus dem Johannisberger Hansenberg. Schon ein ganze Klasse darüber, sowohl qualitativ wie preislich ist der Schloss Johannisberger Rotlack Kabinett, sowohl in der trockenen als auch in der feinherben Variante.
Danach ging es an zwei 2008er Erste Gewächse (EG) und die 2009er EG Fassproben aus vier Einzellagen. Bester trockener Wein des Tages war zweifellos das schon jetzt großartige 2008er Schloss Johannisberger Silberlack Riesling Erstes Gewächs mit einem für den Rheingau selten feinen Säurespiel und wunderbaren Kräuternoten. Das 2008er Rüdesheimer Berg Rottland Riesling Erstes Gewächs von Mumm ist zwar auch schön, kommt aber an den Johannisberger derzeit nicht heran. Dafür ist die Fassprobe des 2009er EG aus dem Berg Rottland mit seinen feinen Hefe- und Kräuteraromen zur Zeit schon am weitesten. Die EG-Fassproben aus Johannisberger Hölle und Johannisberger Mittelhölle sind ähnlich im Stil, aber derzeit noch etwas verschlossener. Ebenso die Fassprobe des 2009er Schloss Johannisberger Silberlack Riesling Erstes Gewächs. Sie entstand merkbar aus hochreifem Lesegut, scheint wieder etwas typischer den klassischen Rheingaustil abzubilden, kommt derzeit allerdings natürlich noch nicht an die bereits seit fast einem Jahr gefüllte Vorjahresversion heran. Die schönen Hefe- und Kräuteraromen ziehen sich durch alle großen Gewächse der beiden Güter, was wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass im Schlosskeller mit geführter Spontangärung gearbeitet wird, bei der ein gelungener, spontaner Gäransatz von Fass zu Fass weitergeimpft wird.
Die Grünlack Spätlese ist bei der Geschichte dieses Weinguts natürlich auch ein besonderer Wein. Es dürfte wohl auch die meistverkaufte Spitzenspätlese in Deutschland sein. Mir fällt zumindest kein anderes deutsches Weingut ein, das es schafft jährlich mehrere 10.000 fruchtige Spätlesen im Inland abzusetzen. Bei den anderen Erzeugern von Top-Spätlesen dürfte auch der Exportanteil deutlich höher liegen als die rund 50 % bei Schloss Johannisberg. Die 2009er Schloss Johannisberger Grünlack Riesling Spätlese ist derzeit noch recht verhalten. Trotzdem sind schon merklich Pfirsich- und Zitrusnoten, etwas Mineralik und auch wieder Kräuteraromen zu erkennen. Obwohl das Traubenmaterial sicher deutlich höhere Öchslegrade aufwies, als für Spätlesen mindestens vorgeschrieben, wirkt der Wein doch spritzig und erfrischend. Eben eine klassische Spätlese! Schloss Johannisberg ist glücklicherweise nicht in den Wettbewerb um die fetteste, der zur Spätlese abgestuften Auslesen eingestiegen (wie es z.B. das nur wenige Kilometer entfernt gelegene und ebenfalls sehr renommierte Weingut Robert Weil regelmäßig macht, dessen aktuelle Top-Spätlese aus dem Kiedricher Gräfenberg nur haarscharf die gesetzlichen Anforderungen an eine Beerenauslese verpasst – ein großartiger Wein aber stilistisch definitiv keine Spätlese mehr!).
Im Jahrgang 2009 ist bei Schloss Johannisberg auch eine tolle Kollektion edelsüßer Weine gelungen. An der Spitze stehen ein wunderbarer Schloss Johannisberger Blaulack Eiswein mit tollem Süße-Säure-Spiel und mein persönlicher Favorit des Tages, die Fassprobe einer Schloss Johannisberger Goldlack Trockenbeerenauslese (TBA) der Extraklasse. Die Analysedaten sind noch nicht bekannt, das Ausgangsmaterial soll aber zwischen 180° und 200° Oechsle gelegen haben. Verwalter Christian Witte ist überzeugt, dass Riesling-TBAs aus diesem Oechsle-Bereich auf Dauer einen höheren Trinkgenuss bereiten als extrem konzentrierte TBAs mit inneren Rekordwerten (den Weltrekord hält derzeit Moselwinzer Markus Molitor mit 331 Grad Öchsle im Jahr 2003 in der Zeltinger Sonnenuhr), die zwar kurzfristig einen spektakulären Eindruck vermitteln aber nach wenigen Schlucken bereits ein Gefühl der Übersättigung hinterlassen. An der auch mit ausreichend Säure ausgestatteten 2009er Schloss Johannisberger Riesling TBA hingegen könnte ich mich trotz ihres noch viel zu jungen Alters schon jetzt stundenlang begeistern.
Außer den aktuellen Weinen des 2009er Jahrgangs und einiger Vorjahresweine wurden auch einige Raritäten aus den letzten Jahrzehnten geöffnet:
Schloss Johannisberger Rosalack Riesling Auslese 2002
Schloss Johannisberger Rotlack Riesling Kabinett 1985
Schloss Johannisberger Gelblack Riesling Qualitätswein 1970
Schloss Johannisberger Grünlack Riesling Spätlese 1964
Ein 40 Jahre alter und immer noch trinkbarer Riesling QbA ist natürlich schon etwas besonderes, hier ist es allerdings erst der Anfang. Die 2002er Auslese mit ihren intensiven Pfirsich- und Botrytisaromen ist bereits recht weit entwickelt, macht aber auch schon richtig Spaß.
Noch spannender ist der älteste Wein in der Runde, eine wunderbar gereifte 1964er Riesling Spätlese. Der Grünlack ist also mittlerweile 46 Jahre alt und noch immer in perfektem Zustand. Die Weine wurden, wie bei Schloss Johannisberg alle 30 Jahre üblich, neu verkorkt. Daher auch die Kapseln mit aktuellem VDP-Logo.
Nach der Verkostung ging es ins Allerheiligste: Den berühmten Schlosskeller!
Am unteren Ende der langen Kellertreppe wurde der Eingangsbereich neu gestaltet und ein großes, ebenso altes wie schweres Metalllogo mit dem Metternich-M vor einem Sektflaschenlager aufgehangen.
Der imposante, 260 m lange Gewölbekeller (das komplette Hauptgebäude des Schlosses ist damit unterkellert) wurde zwischen 1716 und 1721 als Erweiterung der bereits bestehenden Kellerräume (dazu weiter unten mehr) erbaut. Nur etwa die Hälfte des Gewölbekellers wird heute als Holzfasskeller verwendet. Der Rest steht leer.
Der Holzfasskeller ist dabei nicht nur Zierde: Seit 2007 kommt jedes Jahr eine kleine Anzahl Stück- oder Halbstückfässer dazu, die aus Schloss Johannisberger Eiche (also Eichen aus dem eigenen Schloss–Forst an den Südhängen des Taunusgebirges) gefertigt wurden.
Der Ausbau in Holzfässer nimmt hier kontinuierlich zu. Begonnen wurde bei den Rieslingen mit den Ersten Gewächsen, die in (den wenigen noch verwendbaren) viele Jahrzehnte alten Fässern ausgebaut wurden. Mittlerweile werden aber auch andere Rieslinge zumindest zeitweise im Holz ausgebaut. Für die G.H.von Mumm’schen Spätburgunder aus dem Assmannshäuser Höllenberg stehen nun natürlich auch Barriques aus eigener Eiche zu Verfügung.
Ein kleiner Teil des Schlosskellers, die berühmte Bibliotheca subterranea ist bereits über 900 Jahre alt. Der Weinkeller war früher Teil eines um 1108 gegründeten Benediktinerklosters, das allerdings schon im Jahre 1563 wieder aufgelöst wurde. Die Klostergebäude standen anschließend noch rund 150 Jahre unter weltlicher Verwaltung, bis sie Anfang des 18. Jahrhunderts abgerissen wurden um Platz für das neu gebaute Barockschloss auf den Johannisberg zu schaffen. Dieses wiederum wurde im August 1942 durch einen Notabwurf eines britischen Bombers zerstört (nach Luftangriffen auf Mainz). Zwischen 1945 und 1964 wurde Schloss Johannisberg dann in der heutigen Form wieder aufgebaut.
Die legendäre Bibliotheca Subterranea
Der Name Bibliotheca subterranea wurde 1786 erstmals urkundlich erwähnt. Heute wird sie als Schatzkammer des Weingutes verwendet und zählt zu den berühmtesten Weinkellern der Welt.
Die Bibliotheca subterranea liegt mehrere Meter tiefer als der Gewölbekeller, allerdings nicht direkt darunter sondern nur daran angrenzend, vor den Schlossmauern, tief unterhalb von Schlossterrasse und Weinberg.
In der Bibliotheca lagern tausende Flaschen aus fast allen lagerfähigen Jahrgängen bis zurück ins Jahr 1748. Hier das Schild über dem Jahrgangsfach…
mit der ältesten erhaltenen Flasche. Dem letzten verbliebenen Riesling aus dem Jahr 1748 (die Schilder mit den Jahren 1939 und 1940 beziehen sich auf die Fächer darunter).
Weine die hier gelagert haben, tragen in der Regel anschließend das blaue Ex Bibliotheca subterranea Etikett wie dieser 2004er Schloss Johannisberger Riesling Cabinet-Wein. Cabinet in dieser Schreibweise steht dabei nicht für das Prädikat (Kabinett) sondern für den Cabinet-Keller, also den Raritätenkeller des Betriebs. Eine Reihe von traditionsreichen Gütern wie Schloss Vollrads, Schloss Eltz und Kloster Eberbach nutz(t)en die Bezeichnung Cabinet in dieser Weise.
Eine solche Sammlung ist weltweit einzigartig. Dazu kommt ein zweiter Punkt der weltweit einzigartig ist: Schloss Johannisberg verfügt über ein Archiv mit Unterlagen aus fast 300 Jahren über Klimaverlauf jedes einzelnen Jahrgangs, Lesedaten (Angaben über die gelesenen Qualitäten und ihre Mengen) sowie die Art des jeweiligen Ausbaus der Weine. Eine großartige Datenbasis für Forscher mehrerer Fachrichtungen: vom Klimaforscher, über Weinbauexperten bis hin zu Wissenschaftlern, die daran arbeiten, das wahre Alter von Weinraritäten zweifelsfrei zu bestimmen und so den immer häufiger zu beobachtenden Betrugsversuchen mit gefälschten Altweinen bei Auktionen Einhalt zu gebieten.
1972 war einer der letzten Jahrgänge des Orangelack Kabinett, der genau wie die nachfolgend abgebildete Spätlese Weisslack nach der Reform des Weingesetzes im Jahr 1971 und der folgenden Umstellung des Weinangebots auf die gesetzlich neu festgelegten Prädikate aus dem Programm genommen wurde.
Die Weisslack Spätlesen waren qualitativ über dem Grünlack angesiedelt und können heute noch großartig schmecken. Den 1943er hatte ich zweimal, eine Flasche war etwas angezählt, die andere schlicht perfekt.
2 Kommentare
Danke für den tollen Beitrag!!! Sehr interessante Bilder, ich wünschte ich hätte auch die Möglichkeit und könnte auch eine Kellerbesichtigung von den Weinen machen! Ich würde auch sehr gerne den Riesling Jahrgang 2002 probieren, da der Riesling schon zu einer meiner Lieblingssorte von Weißweinen
Durch den Fund einer Weinflasche (Schloss Johannisburg 1970er Spätlese Grünlack Rheingau) bin ich auf Ihren Beitrag aufmerksam geworden, da mich interessierte, woher dieser Wein stammt. Auch als Wein-„Nichtkenner“ habe ich durch Ihren Beitrag einiges dazugelernt und fand es sehr interessant und aufschlussreich.