Von Marc Herold
Schöne Künste haben immer auch mythische Orte in denen sie wohnen. In der Welt der Oper gibt es den Grünen Hügel, die Scala und viele andere traumhafte Häuser; im Sport gibt es Wimbledon und das Millerntor Stadion und beim Wein gibt es den Saal des Trierer Bürgervereins, in dem alljährlich die Versteigerung des „Großen Ring“ abgehalten wird. Doch halt – die Halle des katholischen Bürgervereins gibt es nicht mehr und schon seit Jahrzehnten mussten die Freunde der Versteigerung sogar aus der kastigen, etwas muffigen aber sonst erstaunlich geeigneten Europahalle ausziehen. Seit 2013 war man mit der Auktion dann im über der Stadt gelegenen Robert Schumann-Haus und dann in einem seminardurchtränkten Funktionsbau der Europäischen Rechtsakademie. Um die Schraube des Schreckens anzuziehen wagte man sich kurioserweise fast ganz vor die Stadt in die unmittelbare Nachbarschaft von Autohäusern, einem Marktkauf und seelenlosen Supermärkten, in die ich mich noch nicht einmal während der Zombieapokalypse zurückziehen möchte. Wie dem auch sei, „IAT Hotel“ hieß der diesjährige Ort der Versteigerung und viele folgten trotz allem dem Ruf des „Rings“ … oder hatten erst kurz vor der Veranstaltung überhaupt herausgefunden, auf welches Zwischenziel sie ihr Navigationssystem einstellen sollten.
Den Hotel-Parkplatz in „outer Trier“ belegte kurz vor neun Uhr ein bunter Mix an frachtraumstarken Autos der Winzer, PS-starken Autos aus den Benelux-Staaten und stark angerosteten Wagen der schwachfinanzierten Schnutentunker. Die Vorprobe der Versteigerung war dann in einem winkligen und recht schlecht durchlüfteten Foyer zu einer zwar hellen aber auch deutlich zu kleinen Halle. Wer hier die Tischabstände geplant hat, musste sich nie selbst mit einer Weinflasche zwischen handbreit voneinander entfernten Stühlen durchschlängeln um dafür zu sorgen, dass eine nasse Versteigerung (bei der die Weine, die grade auktioniert werden, auch verkostet werden) auch nass bleibt.
Bereits bevor das erste Los unter den Hammer kam, zeigte die morgendliche Vorprobe, dass der Jahrgang 2014 eine große Zahl sehr feiner Kabinette und Spätlesen ermöglicht hat. Wie in den drei Jahren davor zeigte Florian Lauer den Prototyp eines, knackig-stahligen und dennoch tiefen Saar-Kabinetts. Etwas spätlesiger kommt der Altenberg-Kabinett des Weinguts von Othegraven daher, hier ist unbedingt Reife erforderlich – dann könnte das aber einer der Kabinette des Jahrgangs sein. Bei den Spätlesen gab es viel Licht, besonders hell strahlte Haarts Piesporter Goldtröpfchen und wer einmal die typische „Bockstein-Stachelbeere“ in Reinkultur erleben möchte, sollte unbedingt die „Zickelgarten“ (ein Unterparzelle im Ockfener Bockstein) Spätlese des St. Urbanshofs probieren. Auch die Spätlesen (Scharzhofberger und Braune Kupp – Le Gallais) von Egon Müller zeigten, wo die Stärken des während der Ernte schwierigen, weil nassen Jahrgangs 2014 lagen. Stark auch von Othegravens Altenberg-Spätlese, in der sich die ganze Noblesse der Lage versammelt – ein Wein für die lange Lagerung. Die Schwierigkeiten zeigten sich besonders bei der Graacher Domprobst Spätlese von Willi Schaefer. Hier scheint einiges schief gelaufen zu sein, der Wein wirkt unsauber und hat eine merkwürdig klotzig derbe Säure. Schloss Liesers Spätlese aus der Wehlener Sonnenuhr konnte zwar überzeugen, spielte aber für mich dieses Jahr nicht bei den besten Spätlesen der Auktion mit.
Wirklich große Auslesen waren rar – Egon Müllers Scharzhofberger Auslese Goldkapsel war dann auch die unangefochtene Siegerin des Tages, so eine Pracht, Finesse und bezaubernde Botrytis habe ich nur selten gekostet. Der Wein war dann auch die mit Abstand teuerste Auslese. Joh. Jos. Prüm zeigte eine lange Goldkapsel Auslese (Jahrgang 2013!) aus dem Himmelreich, die sich mir nicht auf Anhieb erschlossen hat, die aber beim Nachprobieren wenigstens einen Teil ihres Charmes hinter dem Schleier eines typischen „Prüm-Stinkers“ enthüllen konnte.
Der Tag und besonders die Versteigerung wird aber wegen zwei Dingen besonders im Gedächtnis des Publikums bleiben:
Zum einen wurde mit 1100 € (0,75 L, netto) der bislang höchste Preis für eine Trockenbeerenauslese von Geltz Zilliken erzielt. Dieser Wein aus dem Jahr 2005 war für mich der Wein des Tages, so ein Spiel, solch eine irrsinnige Konzentration von reifen Zitrusfrüchten und feinstem Honig bei gleichzeitiger vibrierender Lebendigkeit ist wirklich schwer fassbar. Der Wein mit der AP Nr. 1 bildet für mich den Schlussstein im Gewölbe der sowieso schon prachtvollen 2005er von Hanno Zilliken. Wirklich berührend waren auch Maximilian von Kunows Worte an dieser Stelle der Versteigerung, Hanno Zilliken stelle schon lange sein großes Vorbild dar und er danke ihm, Zilliken, für seine Großzügigkeit und Unterstützung.
Zum andern wurde – auch hier im Weinkaiser-Blog wurde schon davon berichtet – für Egon Müllers Trockenbeerenauslese aus dem Hitzejahr 2003 ein vorher unvorstellbarer Preis erziehlt. Blieben die Auktionspreise bis zu diesem außergewöhnlichen letzten Posten im Rahmen oder waren zum Teil sogar etwas unter den Erwartungen (Prüm Lay Auslese 2013, Theo Haarts sehr gelungene Weine), brauchte Maximilian von Kunow nur wenige Augenblicke um vom Ausgebot von 2000 € bis auf 5000 € zu zählen. Dass zu diesem Zeitpunkt die Kommisionäre noch fast alle saßen, lies erahnen, dass der Preis weit über die erwarteten 6000 € oder bestenfalls 8000 € herausschießen würde. Bei 8000 € war man nämlich zum ersten Mal in der Geschichte der Versteigerung, trotzdem blieb dem Publikum kaum Zeit zu klatschen. 10.000 € waren der nächste Haltepunkt und als der Zuschlag bei 12.000 € erteilt wurde, gab es kein Halten mehr. Von Kunow war sicht- und hörbar zu gleichen Teilen ergriffen und euphorisch. Egon Müllers kurzes Schlusswort „I think this was a very memorable day, we all can go home very happy now.“ löste dann auch in seiner betont zufrieden beherrschten Art umso größere Heiterkeit beim Publikum aus. Ein großer Moment in baulich entseelter Umgebung. Oder um es mit den Worten einer der Teilnehmer zu sagen „Wimbledon in der Tiefgarage“.
PS: Und sollte das hier einer der Organisatoren lesen: Wir hätten gern auch die alten Versteigerungshefte wieder. 😉
PPS: Die 2003er TBA war dann auch wirklich wunderbar. Tiefgründig, endlos, eine Tiefe Ruhe ausstrahlend, Länge bis zum Horizont. Lässt solche Fragen, wie „ob da jetzt genug Säure drin sei“ lächerlich wirken. Das Wort „Monument“ ist bei Weinen oft unangebracht; hier ist es eher noch eine Untertreibung.
4 Kommentare
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PPPPS: Mir persönlich gefallen die neuen, größeren Versteigerungskataloge ausgesprochen gut. Marc dagegen, der als Chemiker seine Weinbeschreibungen idR mit Bleistift unter Zuhilfenahme von Lupe oder Monokel in 2-Punkt-Schrift notiert, empfindet sie natürlich als ebenso anmaßend groß wie unhandlich und würde im Grunde Scheckkartenformat bevorzugen….
Wenn es ja während der Vorprobe Platz gegeben hätte, den Folianten abzulegen…;-)
Erstaunlich finde ich das Niemand bei der 2003er TBA bis jetzt öffentlich die Frage gestellt hat weshalb dieser Wein eine AP-Nr. aus dem Jahr 2015 trägt.
Der Egon konnte sich eben lange nicht davon trennen.