Reife Rieslinge und das Internet – Eine Vinocamp Session

Steinberger Riesling Cabinet 1953

Ein Beitrag zum Vinocamp Deutschland 2014

Von Marc Herold. Umfangreiche Ergänzungen und Fotos von Ralf Kaiser

Alte Rieslinge, also ganz grob solche, die in den 1970er Jahren und früher entstanden, wurden lange Zeit von Weinsammlern nahezu nicht beachtet. Sie wurden so komplett ignoriert, dass man bis vor ein paar Jahren regelmäßig alte Riesling-Auslesen günstiger kaufen konnte, als die Weine aus den aktuellen Jahrgängen. Diese skurrile Schieflage ändert sich grade drastisch. Die Preise für die gereiften Auslesen der Spitzengüter wie etwas Schloss Johannisberg, Schloss Eltz oder Egon Müller steigen fast im Wochenrhythmus. Höchste Zeit also etwas Licht in das Dunkel der deutschen Altweine zu bringen.

Schloss Eltz Riesling Beerenauslese 1917

Das vierte Vinocamp bot dazu eine gute Gelegenheit. Um das Thema an vorderster Front des Interesses der Social Media Meute zu lancieren, griff ich zu einem recht durchschaubaren Trick und hängte dem Thema „Reife Rieslinge“ ein „…und das Internet“ an.

Schloss Eltz Vertikale bis 1917

Um auch noch den letzten Zweifelnden zu bekehren, hatte ich außerdem eine 1966er Rauenthaler Baiken feine Spätlese des Weinguts „Schloss Eltz“ auf dem Weg zum Camp eingekauft. Ein Wein, der glasklar zeigte, wie irrsinnig betörend, entspannend und langlebig Riesling sein kann. Die Spätlese hatte noch Leben und eine sehr schöne fast kräutrige Aromatik. Das geht soweit, dass Weinlagen.info Gründer Charlie Gierling sogar mit einem Augenzwinkern von „Kamillentee“ sprach. Mit dem Wein im Glas fiel es mir auch leichter, zu vermitteln dass alte Weine eine der ganz wenigen Möglichkeiten sind sich sinnlich einer vergangenen Welt anzunähern. Der Wein entwickelt sich in der Flasche weiter, jedoch hat er noch immer den Keim seines Ursprungsjahrgangs in sich.

Schloss Johannisberg Weißlack Riesling Spätlese 1943

Vinocamp-Teilnehmerin Petra Pahlings vom Weingut Joh. Jos. Prüm hatten wir es auf zu verdanken, dass es auch noch zwei sehr schöne Moselauslesen vom Ende der 90er gab. Hier stand die Entwicklung zur Reife noch ganz am Anfang. Ich denke sowieso, dass die Riesling Spät- und Auslesen der 90er in den nächsten Jahren noch viel mehr im Zentrum des Sammlerinteresses stehen werden, als sie es jetzt tun. Noch sind hier die Preise moderat und die Mengen nicht so dezimiert wie bei den restsüßen Kreszenzen der 50er bis 70er.

Halsschleife der Schloss Johannisberg Weißlack Spätlese 1943

Solche gereiften und alten Weine zu finden, funktioniert im Wesentlichen über vier Wege:

  1. Kauf direkt beim Winzer
    Es gibt eine erstaunliche Zahl deutscher Winzer, die teils noch Weine aus den 70ern, teils aber zumindest aus den 90ern verkaufen. Die Weingüter Schmitt-Wagner (fast erschreckend günstige Weine v.a. aus den 90ern), Kajo Christoffel oder Max. Ferd. Richter an der Mosel und J.B. Becker im Rheingau seien hier exemplarisch genannt. Schloss Johannisberg bietet auf Nachfrage teilweise Weine bis aus den 40er Jahren an. Die Weinkomissionäre im Rheingau und an der Mosel haben teilweise auch noch große Altweinbestände und verkaufen auf Nachfrage Weine aus oft guter Lagerqualität. Die Preise sind hier bei der ersten Variante sind je nach Reputation des Gutes mittel bis hoch.
  2. Auktionen
    Hier kommt das Internet ins Spiel. Die meisten spezialisierten Weinversteigerer (Koppe & Partner, Munich Wine Company etc.) haben mittlerweile Onlineplattformen. Oft sind hier die aufgerufenen Preise schon recht grenzwertig, wer einen Spitzenwein aber unbedingt haben möchte und etwas geschickt bietet ist hier gut aufgehoben. Ebay spielt bei den Weinversteigerungen schon seit Jahren eine große Rolle. Bei keiner Möglichkeit Altweine zu erwerben gehen die Qualitäten so auseinander wie hier. Von untrinkbarem Schund bis hin zu sehr gut gelagerten Spitzenrieslingen ist alles dabei. Bei Ebay sollte der Käufer auf den Füllstand der Flasche achten. Je weniger „Luft“ zwischen Wein und Kork oder Kapsel, desto besser. Abgesehen von sehr stark durch Edelfäule geprägten Weinen sollte die Farbe des Weins noch hell und klar sein. Auch wenn bei deutschen Weinen die Zahl der Fälschungen (noch) recht niedrig ist, sollte der Wein die Orginalkapsel tragen. Weine ohne Kapsel sind immer ein Risiko. Oft ist auch ein Blick auf die anderen Auktionen des Anbieters hilfreich: Bietet der Händler noch mehr Wein an oder hat er sonst nur weinfremde Artikel? Ich bin immer vorsichtig, wenn Händler nur eine Flasche anbieten.
  3. Weinlokale
    Einige wenige Weinlokale in Deutschland führen gut gepflegte Altweinkarten. Wir sprechen hier nicht von Sternelokalen mit nur für wenige Weinfreunde bezahlbaren Preisen sondern von meist kleinen Lokalen mit einfacher Gasthausküche aber sensationeller Weinkarte. Als Beispiel seien hier das Hotel Krug in Hattenheim, die Weinschänke Schloss Groenesteyn in Kiedrich, Breuers Rüdesheimer Schloss, das Weinhaus Kinkel-Stuben in Bonn-Oberkassel, das Weinhaus Gut Sülz in Königswinter und die beiden Trierer Hotels Eurener Hof und Schloss Monaise genannt.
  4. Händler und Privatanbieter
    Dies ist vielleicht das spannendste und aber auch gleichzeitig das am wenigsten planbare Feld der Altweinjagd. Es gibt einige Händler, die regelmäßig im Kundenauftrag alte Rieslinge verkaufen. Vinovero in Bad Cannstatt und Agora Wein in Freiburg sind zwei unter vielen. Gerade in Weinregionen gibt es oft bei Haushaltsauflösungen spannende Weinschätze zu heben, neben einigen guten Sachen muss man hier aber oft auch den ganzen „Ramsch“ mitkaufen. In einigen Großstädten gibt es auf Haushaltsauflösungen spezialisierte Unternehmen, die auf ihrer Verkaufsfläche idR nur antiquarische Bücher, Möbel, Porzelan und Kunst anbieten. Ein regelmäßiger Besuch lohnt trotzdem, da hier immer mal wieder für kurze Zeit auch alte Spitzenweine zum Schnäppchenpreis auftauchen.

Reife Moselauslesen im Ürziger Weingut Jos. Christoffel jr.

Appropos „Ramsch“: Woran erkennt man die interessanten Weine? Was für alte Rieslinge sind auch für den Neuling der Altweinjagd lohnend?

Schloss Eltz Beerenauslese 1917

Stuart Pigott schreibt Anfang der 90er in seinem Buch „Die großen deutschen Rieslingweine und ihre Winzer“, dass eine Riesling Auslese von 1971 der praktisch ideale Start für den angehenden Altweinfan sei. Die Weine seien in großer Zahl vorhanden, es war einer der besten Jahrgänge der letzten 50 Jahre und die Rieslinge haben sich prächtig gehalten. Die 71er Auslesen sind auch jetzt bei guter Lagerung immer noch sehr schön balanciert und zeigen, was in einem großen Jahr möglich ist. Andere momentan empfehlenswerte Jahre sind 1990, 1983, 1976 (Rheingau), 1964 und 1953. Wobei ich beim 1953er wirklich nur noch sehr gut erhaltene Flaschen kaufen würde. Mehr zu den Jahrgängen findet ihr in dem sehr guten oben erwähnten Buch von Pigott.

Schloss Johannisberg Grünlack Riesling Spätlese 1964

Bei den Erzeugern wird die Orientierung noch unübersichtlicher. Hier gibt es zum einen die Klassse der Güter, die schon sehr lange Weine in sehr guter Qualität erzeugen. Güter wie Joh. Jos. Prüm, Egon Müller, Maximin Grünhaus, Schloss Johannisberg sind immer erste Wahl, wenn man auf Nummer sicher gehen will. Bis in die 70er gehörten auch die Weingüter Tyrell/Karthäuserhof, Prinz von Hessen (hier sogar bis weit in die 80er, da diverse Spitzenlagen von Schloss Eltz übernommen wurden), Kanzemer Berg (von Othegraven) und Langwerth von Simmern dazu. Die beiden letztgenannten sind mittlerweile wieder deutlich im Aufwind.

Weingut August Anheuser Kreuznacher Krötenpfuhl Riesling feinste Auslese 1959

Dann gibt es eine große Zahl an Gütern, die mal sehr gut waren und die es nicht mehr gibt (Schloss Eltz, Staatliche Weinbaudomänen Niederhausen-Schloßböckelheim) oder der Güter, die nur eine gewisse Zeit zur Spitzengruppe gehörten (z.b. Appolinar Koch, Hessische Staatsweingüter und die beiden Anheuser-Weingüter an der Nahe). Hier hilft oft nur der Blick in die zeitgenössische Literatur (s.u.) um rauszufinden, was gerade gut war. Aber auch das Internet hält einige Hilfestellungen für den informationsdurstigen Riesling-Trinker parat. Die Verkostungsnotiz-Datenbanken www.cellartracker.com (englischsprachig) und vor allem www.verkostungsnotizen.net (deutschsprachig) bieten mittlerweile einige tausend Notizen zu reifen Rieslingen. Hilfreich ist auch die Forensuche der www.wineberserkers.com, in diesem englischsprachigen Forum gibt es auch viele Berichte zu Proben mit gereiften deutschen Weinen.

Staatliche Weinbaudomäne Niederhausen-Schloßböckelheim Niederhäuser Hermannshöhle Riesling Auslese 1949

Ich hoffe mit dieser Zusammenfassung meiner Session etwas Licht ins Dunkel gebracht zu haben und wünsche euch viel Freude bei der Jagd und beim Genießen der Beute!

Marc Herold (in blau) mit weiteren Altweinfreunden in Ürzig

Hier noch ein paar Literaturtipps zum Thema:

Peter Sauerwald, Edgar Wenzel „Könige des Rieslings an Mosel, Saar und Ruwer“ Busse-Seewald Verlag, 1982

Peter Sauerwald & Edgar Wenzel - Könige des Rieslings an Mosel, Saar und Ruwer

Stefan Andres „Die großen Weine Deutschlands“, Ullstein Verlag Frankfurt, 1960
Stefan Andres - Die großen Weine Deutschlands

Stuart Pigott, „Die großen deutschen Riesling Weine“, Econ Verlag, 1995
Stuart Pigott - Die großen deutschen Riesling Weine

Mario Scheuermann, „Deutsche Spitzenweingüter – Klassifikation von 1990/91“, Econ Verlag, 1989
Mario Scheuermann, Deutsche Spitzenweingüter - Klassifikation von 1990/91

Frank Schoonmaker, „The Wines of Germany“, div. Ausgaben

Hornickel, Ernst, „Die Spitzenweine Europas“, div Ausgaben.

1 Kommentar

    • Thomas Riedl auf 18. Mai 2015 bei 23:40
    • Antworten

    Hallo Ralf,

    da ist Dir eine wirklich gute und praktikable Anleitung zum Kauf von gereiften Rieslingen aus Hirn, Feder und Tastatur geflossen.

    Schön, dass Du auch immer wieder auf Bücher verweist.

    Danke Dir!

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