Lagen lernen Laufen – das Projekt „Wurzelwerk“

Drei Flaschen aus dem 2012er Wurzelwerk-Paket

Von Marc Herold

Oft entstehen aus den einfachsten Fragen die erstaunlichsten Erkenntnisse. Im Herbst 2012 setzte eine solch einfache Frage ein Projekt ungeahnter Ausmaße in Gang. Alwin Jurtschitsch und Max von Kunow stiegen damals durch den Scharzhofberg und der Winzer aus Österreich fragte seinen Kollegen und Studienfreund von der Saar, was denn wohl passieren würde, wenn die Trauben aus dem Scharzhofberg nicht an der Saar sondern in seinem Keller im Kamptal zu Wein verarbeitet würden? Würde der Wein dann immer noch als Scharzhofberger erkennbar sein und würde er genauso schmecken, wie wenn Vergärung und Ausbau an der Saar erfolgte?

Obwohl die Frage recht einfach aussieht berührt sie doch ein Thema, dass unter Weinliebhabern und Winzern kontrovers wie kein zweites diskutiert wird. Es geht darum warum Wein so schmeckt, wie er eigentlich schmeckt. Ist der Geschmack nur von der Weinbergslage und der Witterung abhängig oder entsteht der Geschmack durch den Einfluss im Keller und die Kunst des Winzers? Beide Extremmeinungen haben ihre Anhänger die dann auch oft auch eine Menge Argumente in flüssiger Form ins Feld führen.


Seit einigen Jahren wird das Thema auch wissenschaftlich von der Forschungsanstalt Geisenheim bearbeitet (http://www.terroir-hessen.de). Die Geisenheimer erwerben dazu Traubenmaterial aus unterschiedlichen Lagen des Rheingaus und der hessischen Bergstraße und erzeugen daraus unter mehr oder weniger standardisierten Bedingungen Wein. Eine Verkostung der Weine im Jahr 2008 hinterließ bei mir allerdings den Eindruck, dass die Weine zwar unterschiedlich schmeckten, dass dieser unterschiedliche Geschmack aber aufgrund von methodischen Schwierigkeiten kein Beweis für unterschiedliche Lagencharaktere ist. So wurden die Weine nicht im gleichen Reifezustand oder zum gleichen Zeitraum geerntet und auch die Art der Riesling-Klone war nicht einheitlich. Das zeigt auch die grundsätzlichen Schwierigkeiten, der Frage des Lageneinflusses wissenschaftlich Herr zu werden. Für ein ideales Experiment bräuchte man Weinberge in unterschiedlichen Lagen, die mit den gleichen Klonen zur gleichen Zeit bepflanzt wurden und in denen die Weinbergsarbeit (Begrünung, Laubarbeit, Schnitt etc.) bis zum Zeitpunkt der Lese möglichst gleich gehalten worden wäre. Eine Aufgabe, gegenüber der die Errichtung des Berliner Flughafens wie eine Laubsägearbeit für Hobbybastler erscheint.

Unter diesen Vorzeichen wirkt der Lösungsansatz der beiden Winzer im Scharzhofberg ebenso praxisnah wie genial: Wie wäre es, wenn man einen Teil der Trauben wirklich nach Österreich ins Kamptal fahren würde und den Wein dort im Keller des Jurtschitsch‘schen Weinguts Sonnhofs vinifizieren würde? Der daraus entstehende Wein würde die Frage beantworten können. Und weil man grade so gut in Fahrt war, beschloss man das Projekt noch auszubauen und Traubenmaterial vom Weingut Gunderloch ins Boot und auf die Autobahn zu holen. Drei Wochen später wurden also Trauben aus dem Scharzhofberg, dem Nackenheimer Rothenberg und dem Zöbinger Heiligenstein gelesen und jeweils ein Drittel der für das Projekt bestimmten Ernte wurde auf die Weingüter von Hövel , Gunderloch und Jurtschitsch verteilt.

Die Transportrouten des Wurzelwerks. Bild: Wurzelwerk.org

Die Trauben wurden auf den jeweiligen Gütern mit pneumatischen Pressen gepresst, 12 Stunden Maischestandzeit wurden eingehalten und anschließend erfolgte die Vergärung in 330 L Edelstahltanks. Im Weingut von Hövel wurde dazu eigens ein solcher Tank angeschafft. Eine Besonderheit ist noch, dass für jede Lage ein „Gäransatz“ aus sechs Tagen vor der Ernte hergestellten, spontanvergorenen Trauben erzeugt wurde. Dieser Gäransatz wurde aber nicht benötigt und die Moste vergoren damit komplett spontan. Die Alkoholgehalte der Weine liegen durchweg bei 12 % bis 12,5 %.

Seit Ende 2013 sind die neun so entstandenen Weine in einer stilvoll gestalteten Aufmachung in einer Holzkiste erhältlich (http://wurzelwerk.org/). Am 14.3.2014 gab es schließlich im Trierer „Weinhaus Minarski“ die einzige Verkostung des gesamten Sets die für Endkunden zugänglich war. Ich musste da natürlich hin und war gespannt wie ein Draht im Drahtrahmen, wie sich die Weine präsentieren und ob es irgendein verallgemeinerbares Ergebnis geben würde.

Die 2012er Wurzelwerk-Kiste. Bild: Wurzelwerk.org

Max von Kunow ließ es sich nicht nehmen, selbst sehr engagiert durch die Probe zu navigieren, wobei die Weine blind in Dreier-Flights verkostet wurden und am Ende jedes Flights die Auflösung erfolgte. Aufgrund weinrechtlicher Gegebenheiten (das Weinrecht hinkt der Wissenschaft noch etwas hinterher) können die Weine offiziell nicht mit den Original-Lagennamen verkauft werden sondern müssen unter den Künstlernamen „Schatzberg“ (Scharzhofberg), „Roter Berg“ (Rothenberg) und „Heiliger Stein“ (Heiligenstein) Zuflucht nehmen.

Als die ersten drei Weine vor uns standen, war die Verwirrung fast mit Händen zu greifen. Der erste Wein mit seiner fast etwas chlorig, hefigen Nase könnte ein Scharzhofberger sein? Ist da etwas Schiefer? Riecht der Zweite nicht auch noch etwas nach Hefe wie diese Weine, die an der Saar Spontan vergoren werden? Der zweite Wein schmeckte dann wesentlich fülliger als der erste, hier meinte ich diese typische rote Fruchtigkeit (rote Äpfel, sehr schmelzig, etwas Restsüße) der Weine des Roten Hangs zu registrieren. Der dritte Wein war dann ganz anders, eher kräuterig und vielleicht etwas laktisch in der Nase, die Mineralik kam aber im Nachhall stark zum Vorschein. Mein erster Tipp wäre gewesen, dass es sich um die drei unterschiedlichen Lagen handelt, die alle an der Saar ausgebaut wurden.

Und damit lag ich sagenhaft falsch. Es handelte sich komplett um Weine aus dem Scharzhofberg. Der hefig Mineralische war bei von Hövel vinifiziert worden, der „rote“ beim Weingut Gundeloch und der „verschlossen mineralische Laktiker“ bei Alwin und Stefanie Jurtschitsch. Konnte das sein? War die rötlich-fruchtige Aromatik wirklich nur Resultat des Kellers am Roten Hang? Die mögliche Erklärung für die Eingenheiten des österreichischen Scharzhofbergers erscheint da fast schon trivial: Der Keller bei den Jurtschitschs ist etwas wärmer, biologischer Säureabbau kann so eher ablaufen und führt zu den charakteristischen Yoghurt-Noten.

Derart erleuchtet machte ich mich an das zweite Dreiergrüppchen, und versuchte zunächst den Kamptaler aufgrund der BSA-Note zu finden. Diese war auch diesmal wieder beim dritten Wein zu erriechen, die ersten beiden Weine wirkten zudem wie etwas kräftigere, durchgehend fruchtbetontere Brüder der beiden ersten Scharzhofberger. Die Gleichung „Mehr Frucht = Roter Hang“ ging hier auf; es handelte sich tatsächlich um einen reinen Rothenberg-Flight. Wobei der Saar-Rothenberg in der Nase am hefigsten und „Schiefer“-typischsten roch und der Gunderloch-Rothenberg der kraftvollste, opulenteste und auch restsüßeste Wein der Probe war.

Der dritte Flight sollte dann wieder alle Hypothesen in Frage stellen, die in den ersten beiden Teilen der Probe aufgestellt wurden. Denn weder war der österreichische Heiligenstein durch BSA geprägt, solche Noten kamen diesmal eher aus Reinhessen, noch erinnerte der Saar-Heiligenstein auch nur entfernt an Saar-Klassiker und ihre hefige Schieferigkeit. Es war sogar so, dass der Wein von von Hövel der opulenteste und Roter-Apfel-betonteste Wein des Flights war. Etwas versöhnlich für den vinologischen Sinnsucher war die Steinigkeit und Kargheit des österreichischen Heiligensteins und die straffe Struktur aller drei Weine dieser Reihe. Etwas Kamptal ist damit wohl bei allen Weinen dieser Gruppe im Glas eingewoben.

Die 2012er Wurzelwerk-Kiste. Bild: Wurzelwerk.org

Wie könnte also ein Fazit dieser Probe aussehen? Für mich ist nach dieser Probe klar, dass der Keller eines Weinguts, die darin herrschende Temperatur, die Temperaturschwankungen und andere keller-immanente Parameter einen sehr großen Einfluss auf den Geschmack eines Weines haben. Mich hat besonders überrascht, dass diese Faktoren einen Einfluss haben, auch wenn die Gärung komplett durch weinbergseigene Hefen startet und komplett in Edelstahltanks gearbeitet wird.

Gibt es also garkeinen Lageneinfluss? Das würde ich so auch nicht sagen, die Weine der drei Flights hatten schon auch einen lagenspezifischen Charakter. Der Scharzhofberger insgesamt feingliedriger mit einer straffen Säurestruktur und etwas sehr „Transparentem“. Der Rothenberg sehr kraftvoll und eher wuchtig und der Heiligenstein am mineralischsten. Mein Fazit wäre also ein salomonisches: Sowohl der Keller als auch die Lage trägt zum Charakter eines Weines bei. Beim „Wurzelwerk“ liefert der Keller in 2012 aber den stärkeren Einfluss. Spannend wird hier sicher, ob sich mit der Reife der Weine auch die Gewichtung der Einflüsse verschiebt.

Wie geht es jetzt weiter? Ich hatte ja die Idee, im nächsten Jahr rheinhessische Fassware zu kaufen, und sie im Keller von Egon Müller zum Scharzhofberger zu veredeln, aber dieses spekulative Großunternehmen scheitert an der Unzugänglichkeit des Scharzhof’schen Kellers. So bleibt mir momentan nur das Warten auf die 2013er Weine des „Wurzelwerks“ und die damit verbundenen Erkenntnisse. Ich danke schon jetzt allen mit dem Projekt verbundenen Winzer und Aktivisten die diese hoch spannende Idee ins Leben gerufen haben und am weiter am Leben halten!

2 Kommentare

  1. WURZELWERK lernt nicht nur laufen, sondern geht auf Weltreise. Heute abend in Chicago und zwei Tage spaeter in Washington DC: http://schiller-wine.blogspot.de/2014/03/special-wine-event-on-march-18-2014-in.html
    Cheers

    • Thomas Bohn auf 5. August 2015 bei 21:48
    • Antworten

    Hallo, ich möchte meine komplette Kiste wurzelwerk verkaufen, habe sie Anfang 2014 geschenkt bekommen und würde mich freuen wenn die Kiste einen echten Liebhaber findet.

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